Die individualisierte Massenfertigung wird zunehmend Realität. Allerdings können Konstruktion und Fertigungsplanung dabei zum Flaschenhals werden, wenn Ingenieure nicht genug Arbeitskapazität haben. Das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart erforscht, wie die künstliche Intelligenz (KI) Ingenieurinnen und Ingenieure entlasten kann.
Die Automobilproduktion ist hochgradig automatisiert. Ein so komplexes Produkt wie ein Fahrzeug ließe sich sonst nicht in der geforderten Qualität und Geschwindigkeit herstellen, geschweige denn bezahlen. Es ist eine Massenproduktion, die allerdings sehr viele Varianten zulässt: Die Auswahl an Fahrwerken, Sitzbezügen, Lacken, Infotainment- Ausstattungen oder Assistenzsystemen ist so groß, dass für ein Fahrzeugmodell schon mal mehrere hundert Millionen Kombinationsmöglichkeiten zusammenkommen können. Daher ist die Automobilfertigung bereits heute eher eine kundenindividuelle als eine klassische Massenproduktion – die Automatisierung macht es möglich. Inzwischen ist in der Branche die Rede von der Losgröße 1: Fahrzeuge werden individuell für jeden Kunden gefertigt, ohne dass dafür unwirtschaftlich hohe Kosten in der Produktion anfallen. Diese hochautomatisierte Manufaktur ist nicht mehr nur die Vision der Automobilindustrie, sondern auch überall dort, wo industriell in hohen Stückzahlen produziert wird.
Selbstständige Fertigung ist Stand der Technik
„Früher hat ein Hersteller einmal geplant und mehrmals gefertigt, bei der Losgröße 1 muss er einmal planen, um einmal zu fertigen“, verdeutlicht Akos Csiszar die Folgen dieses Trends. Csiszar ist Wissenschaftler am ISW der Universität Stuttgart, das von Prof. Alexander Verl und Prof. Oliver Riedel geleitet wird. In der Fertigung ist dieses „Einmal planen, mehrmals fertigen“ heute Usus: CNC-Werkzeugmaschinen, also computergesteuerte Maschinen, sind Standard. „Ein Operator kann gleichzeitig mehrere dieser CNC-Maschinen bedienen“, sagt Csiszar. „Er muss keiner seine volle Aufmerksamkeit schenken, solange sie reibungslos läuft und ihre Aufgabe abarbeitet.“ Anders sieht es in den zeitlich davor liegenden Stadien der Produktionskette aus: Werkstücke lassen sich zwar rechnergestützt konstruieren und planen. Doch die hierfür verwendete Software kann ohne das ständige Eingreifen des Konstrukteurs nur sehr rudimentäre Aufgaben ausführen. „Jeder Schritt muss manuell definiert werden“, verdeutlicht Csiszar und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Bei diesen Softwarelösungen arbeiten die Ingenieurinnen und Ingenieure mehr als die Rechner.“ Während also ein Operator drei bis fünf CNC-Maschinen parallel betreuen kann, erfordern softwaregestützte Konstruktion und Fertigungsplanung das ständige Eingreifen.
Diese Arbeitsweise ähnelt dem heutigen Autofahren: Die verfügbaren Softwaretools sind die Landkarten. Sie bieten alle Möglichkeiten, aber die unmittelbare Aufmerksamkeit der Fahrerin oder des Fahrers ist permanent gefordert, um auf dem richtigen Weg zu bleiben. Dagegen ist bei einem autonomen Fahrzeug die Aufmerksamkeit des Fahrers nur noch in bestimmten Situationen gefragt, ansonsten kann er sich anderen Dingen widmen. „Im übertragenen Sinne bräuchte man also auch beim Konstruieren so ein hochautomatisiertes Auto, das von Standardaufgaben entlastet“, sagt der ISW-Wissenschaftler. Und wie bei der Mobilität der Zukunft gilt auch bei der automatisierten Konstruktion Künstliche Intelligenz (KI) als Hoffnungsträger.
KI-Agenten übernehmen Teilaufgaben
„Wir wollen für die computerunterstützte Fertigungsplanung existierende KI-Algorithmen nutzen, die oft sogar als Open-Source frei verfügbar sind“, sagt Csiszar. „Die Schwierigkeit dabei ist, typische Probleme der Produktionstechnik so zu formulieren, dass sie sich mit den KI-Algorithmen bearbeiten lassen.“ Dass das weniger trivial ist, als es klingt, zeigt folgendes Beispiel: Ziel beim Fräsen ist es, möglichst rasch – zum Beispiel aus einem Metallblock – ein Werkstück mit der gewünschten Geometrie und Oberflächengenauigkeit herzustellen. Planen die Ingenieurinnen und Ingenieure diesen Bearbeitungsvorgang am Computer, haben sie sehr viele Varianten zur Auswahl. Ob der Fräskopf auf parallelen Streifen hin und her bewegt oder immer nur in dieselbe Richtung, wo der Fräskopf ansetzt und mit welchem Vorschub er vorangeht – das alles hat Einfluss auf die Genauigkeit und den erforderlichen Zeitaufwand. „In unserem KI-Ansatz sollen die Ingenieure nun nicht mehr alle Einstellungen im Programm durchspielen müssen“, erklärt Csiszar. „Vielmehr haben sie ein kleines Dienstprogramm, einen sogenannten Agenten, als Helfer. Dieser beauftragt wiederum weitere nachrangige Agenten mit Spezialaufgaben, etwa das Bohren von Löchern oder das möglichst schnelle Abtragen von Material.“ Damit das Endergebnis den Ansprüchen genügt, lernt das Agentensystem dank KI anhand realitätsnaher Simulationen. Und handelt selbstständig nach vorgegebenen Zielvorgaben. Zeit also für die Ingenieurinnen und Ingenieure, sich bis zum Vorliegen des Ergebnisses mit anderen Dingen zu beschäftigen, ohne den Optimierungsprozess selbst durchgehen zu müssen.
„Am ISW haben wir bereits mit Simulationsmethoden untersucht, wie sich KI-Agenten trainieren lassen“, erzählt Csiszar. „Ein weiterer Schritt wird sein, existierende Methoden und Formalismen zur Problembeschreibung zu katalogisieren, um zu beurteilen, welche dieser KI-Ansätze sich am besten für unsere Fragestellungen eignen.“ Es sind notwendige Vorarbeiten für ein Forschungsprojekt, das das ISW derzeit vorbereitet: Gemeinsam mit internationalen wissenschaftlichen Einrichtungen und mittelständischen Unternehmen will das ISW-Team die Grundlagen schaffen, um Tools für die computerunterstützte Fertigungsplanung künftig automatisieren zu können. Dieses Jahr ist Projektstart.
Kontakt | akos.csiszar@isw.uni-stuttgart.de |
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