Hintergrund
Kommunikation über alle Ebenen der Produktionspyramide hinweg ist Voraussetzung für viele innovative Ansätze bei der Digitalisierung der Produktion (Industrie 4.0). Dies ist aufgrund der Vielzahl zueinander inkompatibler Feldbusse und dem mangelnden Determinismus von klassischen IT-Netzen bisher nur schwer realisierbar. Momentan wird das in der IT bewährte Ethernet im Rahmen von IEEE802.1 um deterministische Eigenschaften ergänzt (Time Sensitive Networking – TSN) und als Schlüsseltechnologie für konvergente Netze gesehen.
Ein Netzwerk besteht aus Infrastrukturkomponenten, beispielsweise Switches oder Netzwerkmanagement, und Endpunkten, welche das Netzwerk nutzen um Daten anzubieten, auszutauschen oder zu konsumieren. Während Infrastrukturkomponenten die Domäne vergleichsweise weniger etablierter Hersteller sind, werden allgemeine und spezialisierte Endpunkte von einer Vielzahl von Herstellern jeder Größe entwickelt und produziert. Endpunkte werden somit hinsichtlich Variantenvielfalt und Anzahl die Netzwerke dominieren.
Da es sich bei Ethernet und damit bei TSN um eine herstellerunabhängige Basistechnologie zur Kommunikation handelt, die bei allen Endpunkten gleich ist, birgt eine herstellerspezifische Implementierung von TSN nur wenig Potential zur Diversifizierung zu Mitbewerbern, welche vielmehr auf Ebene der Anwendung stattfinden wird. TSN-Grundfunktionalitäten sollten daher auf Plattformen und Betriebssystemen zukünftig als gegeben und offen verfügbar sein.
Ziele
Ziel der Projektpartner in AccessTSN ist es, eine offene, anwendungsübergreifende Lösung zu schaffen um zukünftig applikationsspezifische TSN-Endgeräte mit vergleichsweise wenig Aufwand realisieren zu können. Somit können sich Hersteller auf die tatsächliche Applikation konzentrieren.
Um die Vorteile von TSN nutzen zu können, werden auf Endgeräten verschiedene Funktionen benötigt:
- Zeitsynchronisation: Ein gemeinsames Verständnis von Zeit im gesamten Netz
- Scheduling des Datenverkehrs: TSN bietet unter anderem ein Zeitschlitz-basiertes Verfahren
- Konfiguration: Alle Teilnehmer müssen sich auf gewisse Parameter und Schedules einigen
- Synchronisation mit der Applikation: Die lokale Applikation wird mit dem Netz synchronisiert
Projektfokus
Endgeräte unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl ihrer Ports. Single-Port Endpunkte verfügen nur über eine einzelne Netzwerkschnittstelle, welche am TSN-Netzwerk teilnimmt. Aus Netzwerksicht sind diese einfacher, da sie nur den für sie bestimmten Datenverkehr erhalten und weniger Parameter konfiguriert werden müssen.
Unter Switched Endpunkten werden Geräte verstanden, die mit mehreren Netzwerkschnittstellen am Netzwerk teilnehmen und sich damit in einer Daisy-Chain-Verkabelung betreiben lassen, welche im industriellen Umfeld üblich ist. Für den Datenverkehr der für sie selbst bestimmt ist agieren Sie wie ein Single-Port-Endpunkt, anderen Datenverkehr leiten sie entsprechend weiter, verhalten sich hier also wie ein Switch. Diese Geräte sind aus Netzwerksicht aufwendiger da mehr Parameter zu konfigurieren sind und sie weitere Softwareschnittstellen für die Konfiguration benötigen. AccessTSN deckt beide Endpunktarten ab.
In der Open-Source-Community sind bereits verschiedene Softwarekomponenten frei verfügbar um die Entwicklung von TSN-Endpunkten zu vereinfachen. Sowohl für PC-basierte als auch für eingebettete Plattformen kann das Echtzeit-Linux-Projekt „PREEMPT_RT“ genutzt werden. Darüber hinaus besteht bereits eine Vielzahl an Implementierungen von relevanten Protokollen wie beispielsweise zur Zeitsynchronisation mittels Linux PTP.
Die eingesetzte Linux-basis unterstützt eine Vielzahl von Hardware; im Projekt selbst werden eine PC- und eine ARM-Plattform aktiv getestet. Durch die modular gehaltene Architektur ist es problemlos möglich, weitere Plattformen zu unterstützen. Anwenderprogramme können über eine generisch gehaltene Applikationsschnittstelle leicht für die Nutzung von TSN angepasst und entwickelt werden. Ein weiterer Fokus des Projektes ist die Entwicklung von Softwarekomponenten zur TSN-konformen Konfiguration des Datenverkehrs des Endpunktes und der Netzwerkfunktionalitäten in Switched Endpunkten. Zurzeit entsteht eine Umsetzung eines Switched Endpunktes auf einer ARM/FPGA-Plattform aus der Zusammenarbeit der Projektpartner.
Umsetzung
Das Projekt AccessTSN arbeitet daran die vorhandenen OpenSource Softwarekomponenten für TSN zu erweitern, zusätzlich benötigte Komponenten entwickeln und die vorhandene wie neue Komponenten passend zu verknüpfen um ein TSN-Referenzsystem bereitzustellen um Unternehmen die Entwicklung eigener TSN-Endpunkte zu erleichtern.
Um sicherzustellen, dass die Anforderungen verschiedener Akteure berücksichtigt werden, befindet sich das Projekt in regem Austausch mit Hardwareherstellern, Netzwerkausrüstern, Endgeräteherstellern und anderen Open-Source-Initiativen. Dies erfolgt beispielsweise im Rahmen von Testbeds, jedoch sind Interessierte stets eingeladen, sich in das Projekt einzubringen. Fazit des im Mai 2019 durchgeführten Open-Source-Day war, dass die vorgestellte Architektur und Vorgehen von den Teilnehmern begrüßt und unterstützt wird.
Ihr Ansprechpartner
Philipp Neher
Dipl.-Ing.Wissenschaftlicher Mitarbeiter "Echtzeitkommunikation und Steuerungshardware"